PRESSEINFORMATION
JÄNNER 2006/4

„Die S1 geht an der Themenstellung vorbei“
300 Interessierte füllten auch die letzten Stehplätze im Groß Enzersdorfer Stadtsaal

Groß Enzersdorf – Unter dem Motto „Lobau-Autobahn – Ausweg oder Irrweg?“ kam es bei einer Diskussionsveranstaltung der BürgerInitiative Marchfeld – Groß Enzersdorf (BIM) am Freitag, 27. Jänner 2006 zu einer lebhaften und langen Diskussion zwischen Politikern, Experten und der Bevölkerung der Region.

Auf dem Podium fand sich neben Dipl.-Ing. Bernd Engleder (Wiener Stadtbauamt), Mag. Rüdiger Maresch (Umweltsprecher des Grünen Rathausclubs sowie Grüner Gemeinderat und Landtagsabgeordneter in Wien), Dr. Dipl.-Ing. Hans-Peter Hutter (Institut für Umwelthygiene der Medizinischen Universität Wien und Vorstand der Organisation „Ärzte für eine gesunde Umwelt“), Ao. Univ. Prof. Dipl.-Ing. Dr. techn. Thomas Macoun (Institut für Verkehrsplanung der Universität Wien und DI Thomas Steiner (Projektleiter der Asfinag) auch HR Univ.-Prof. Dr. Friedrich Zibuschka, oberster Verkehrsplaner des Landes Niederösterreich ein.

Laut Aussage der BIM zog Dr. Zibuschka seine schriftlich bereits im Dezember erfolgte Zusage eine Woche vor der Veranstaltung zurück und war nach etlichen Telefonaten nur unter der Bedingung zur Teilnahme bereit, dass am Podium auch ein Vertreter der Asfinag sitzen würde. Verkehrsminister Hubert Gorbach hat auf die schriftliche Einladung zur Veranstaltung nicht einmal reagiert und wurde aus diesem Grund von den Veranstaltern als Papp-Figur am Podium platziert. „Es ist eine Schande, dass die politisch Verantwortlichen dieses Monsterprojekts zu keiner Diskussion bereit sind“, so die BIM.

Unter der versierten Leitung der ORF-Moderatorin Ingrid Erkin kam rasch eine spannende Diskussion in Gang. Bernd Engleder vom Wiener Stadtbauamt untermauerte Wiens „Ja“ zum Projekt S1 auf niederösterreichischem Gebiet und in der derzeitigen Form: „Der Freizeit- und Naherholungsraum der Wiener ist somit gesichert.“ Diese Aussage rief einigen Unmut im Saal hervor: „Den hier ansässigen Menschen wird damit sowohl der Erholungsraum, als auch das tägliche Lebensumfeld genommen.“

Umweltmediziner Dr. Hutter brachte das auf den Punkt: „Der Verkehrssektor ist aus medizinischer Sicht der Problembereich Nummer eins.“ Das Herzinfarktrisiko für Personen an stark befahrenen Straßen ist um 30 % höher, medizinische Folgen von Feinstaub, Schadstoffen und Lärm sind nicht nur wahrscheinlich, sondern schon lange nachweisbare Tatsache.

Die große Frage des Abends war: Wer braucht überhaupt diese S1? Dr. Macoun vom Institut für Verkehrsplanung stellte klar: „Die S1 geht an der Themenstellung vorbei.“ In dieser Region sind die Pendler nach Wien das eigentliche Problem. Dieses Ost-West-Problem werde durch eine Nord-Süd-Autobahn in keiner Weise gelöst. Zudem habe die Motorisierung ihren Sättigungsgrad erreicht und werde kaum mehr ansteigen. Es gäbe Zählstellen rund um Wien, die bereits heuer fast kein Wachstum mehr verzeichnen. Daher sei nicht nachvollziehbar, warum die gesamte Straßenplanung immer noch auf nicht haltbaren Zuwachsraten basiere. Zudem würden die sich laufend ändernden Rahmenbedingungen wie höhere Benzinpreise, Ölknappheit, höhere Transportkosten etc. nicht in den Planungen berücksichtigt.

„Die Rahmenbedingungen werden sich in den nächsten Jahren dramatisch verändern“, so Macoun. Dies müsse in der Planung entsprechenden Niederschlag finden.

Auch aus wirtschaftlicher Sicht sei eine hochrangige Straße kein Gewinn für eine Region. Nur Großbetriebe gewinnen durch eine Autobahn, Klein- und Mittelbetriebe verlieren. Große Konzerne ziehen Kaufkraft aus den Gemeinden ab, dies sei verheerend für die Nahversorgung.

Rüdiger Maresch von den Wiener Grünen betonte, dass die Verkehrsprobleme der Region durch Ortsumfahrungen und einen raschen Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel zu lösen seien. Das fand großteils Zustimmung im Saal: „Wir haben schon den Dreck und den Lärm durch die vielen Flugzeuge, jetzt sollen wir auch noch eine Transitautobahn schlucken?“

Der Abend hat eindeutig gezeigt: Die Hauptsorgen der Menschen in der künftigen Ost-Transitregion sind Gesundheit und Umwelt. „Was nützt es uns, in acht Minuten in Schwechat zu sein, wenn wir krank werden?“ so eine Stimme aus dem Publikum. Die Aussage des Asfinag-Projektleiters DI Steiner aus dem Abluftschlot beim Tunnelende komme „sehr viel Luft mit sehr wenig Schadstoffen“ führte zu heftigem Aufruhr und Gelächter im völlig überfüllten Stadtsaal.

Anwesend waren auch einige offizielle Vertreter Groß Enzersdorfs wie Vizebürgermeister Hans-Jürgen Hegendorfer (SPÖ) und Verkehrsstadtrat Karl Pfandlbauer (ÖVP). Vizebürgermeister Hegendorfer erklärte, die Gemeinde würde das Projekt von unabhängigen Experten prüfen lassen und gegebenenfalls neu überdenken. Die Kosten dafür müsse jedoch die Asfinag tragen. In diesem Zusammenhang verwies DI Steiner (Asfinag) auf die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP), die ja eine unabhängige Expertenprüfung sei.

Einige Wortmeldungen aus dem Saal kritisierten genau diese UVP, bei der das große Autobahn- Projekt trickreich in viele kleine Teilstücke zerlegt werde, die dann einzeln geprüft werden. Natürlich sei ein wenige Kilometer kurzes Teilstück umweltmäßig zu verkraften für eine Region. Erst die Aufaddierung aller Teilstücke zeige nämlich das wahre Ausmaß der auf uns zukommenden Belastungen. Dieser Kritik schloss sich auch der Umweltmediziner Dr. Hutter an.

„Ein Projekt über dessen Planungsgrundlagen und Auswirkungen sich selbst namhafte Experten und Politiker so dermaßen uneinig sind, darf keinesfalls gebaut werden“, so Mag. Hannes Vogler von der BIM.

Nach einer mehr als dreistündigen Diskussion, während der fast alle Anwesenden interessiert ausgeharrt haben, beendete die Moderatorin Ingrid Erkyn den Abend. Die lebhaften Gespräche dauerten jedoch noch weitere zwei Stunden an.

Rückfragehinweis:
Presse/Koordination:Margit Huber; E-Mail: info@s1-bim.at; Telefon 0699 /18 23 09 65