Streit der Experten

Oft wird in Diskussionen über Verkehrslösungen gefragt: „Was sagen eigentlich die Experten dazu?“ Hier eine Gegenüberstellung von zwei Studien, die sich konkret mit dem Gebiet Wien und Umland beschäftigen und zu doch sehr unterschiedlichen Ergebnissen kommen.

Studie 1:
„Mobilitäts-Scenarien 2035“

Im März 2004 wurde von der Firma. Shell eine Studie mit dem Titel „Mobilitäts-Scenarien 2035“ veröffentlicht. Diese Studie wurde federführend von Hrn. Prof. Sammer verfasst. Dieser ist Professor an der BOKU-Wien und zusätzlich laufend in die Begutachtung von UVP-Verfahren für Autobahnen und Schnellstraßen im Gebiet Wien und Umgebung mit eingebunden.

Die Studie geht von einer, unserer Ansicht nach sehr restriktiven, Einschränkung aus: Verkehr ist als Naturgewalt zu betrachten, ähnlich wie ein Tsunami oder Hurricane. Daher geht es nur mehr darum, die negativen Folgen zu minimieren. Das steht zwar nicht explizit in der Studie, allerdings gehen beide untersuchten Scenarien von der Annahme eines dramatisch steigenden Verkehrs aus, der zu bewältigen ist.

Die untersuchten Szenarien betrachten zwei mögliche Vorgehensweisen:
- Einerseits die Fortführung der derzeitigen Taktik: Straßen bauen, wo auch immer irgendwer meint, dass sie notwendig werden könnten.
- Andererseits eine Fortführung der Straßenbautaktik, ergänzt um punktuelle Maßnahmen zur Verkehrssteuerung (kilometerabhängige Maut für PKW, teilweiser Ausbau des öffentlichen Verkehrs)
Dementsprechend schaut dann auch das Ergebnis aus:
- Kyoto und ähnliche Ziele werden keinesfalls erreicht.
- Das Umland von Wien wird zu einem hochrangigen Straßenknoten umgebaut.

Studie 2:
„Wien kann an der Spitze bleiben: Eine verkehrsvermeidende Stadtentwicklung und Raumordnung“

Einen ergänzten Ansatz beschreibt eine Studie unter der Federführung von Prof. Knoflacher mit dem Titel „Wien kann an der Spitze bleiben: Eine verkehrsvermeidende Stadtentwicklung und Raumordnung“. Diese Studie erschien im Jahr 2005 und nimmt direkt Bezug auf die oben beschriebene Shell-Studie. Prof. Knoflacher ist Leiter des Institutes für Verkehrsplanung und Verkehrstechnik der TU-Wien. Als Gutachter für Straßenbauprojekte wurde seine Mitarbeit im Bereich NÖ-Nord/Ost unseres Wissens nach noch nicht in Anspruch genommen.

Grundsätzlich werden die Zahlen der Shell-Studie in ihrer Größenordnung bestätigt. Allerdings wird hier die Meinung vertreten, dass ein Infrastruktuprojekt nicht losgelöst von seinem Umfeld gesehen werden kann. Konkret wird auch herausgearbeitet, dass das Verhalten der Bevölkerung auch in Bezug auf Mobilität nicht losgelöst von Faktoren wie Transportmittelangebot, Arbeitsplatzverfügbarkeit etc. betrachtet werden kann. Eine lineare Hochrechnung der Zukunftswerte ist also nicht zulässig. Lediglich unter Annahme sehr simpler Rahmenbedingungen sind die Werte der Shell-Studie zu akzeptieren.

Die Studie der TU-Wien geht einen gänzlich anderen Weg, das Verkehrsproblem in den Griff zu bekommen. Nicht die Vermeidung schädlicher Auswirkungen bei unveränderlichem Verkehr, sondern die Vermeidung von Verkehr an sich wird als Ausgangspunkt herangezogen.

Die betrachteten Maßnahmen klingen auf den ersten Blick radikal und vielleicht sogar weltfremd (konsequente Parkraumbewirtschaftung, Annäherung an eine Kostenwahrheit im Verkehr, flächendeckender Ausbau des öffentlichen Verkehrsangebotes). Die Ergebnisse der Berechnungen lassen allerdings hoffen, dass es sehr wohl Lösungsansätze gibt, die geeignet sind das Problem der Verkehrsbelastung an seinen Wurzeln zu lösen.

Links zu den Studien:

Shell-Studie:
http://www.shell.com/home/Framework?siteId=at-de&FC2=/at-de/html/iwgen/news_library/publications/2004/zzz_lhn.html&FC3=/at-de/html/iwgen/news_library/publications/2004/mobilitaets_szenarien_2035_22042004.html

TU-Studie:
http://www-ivv.tuwien.ac.at/wien_studie/index.html